Hamme, Burg und Hansestadt

Veranstalter
Museum für Hamburgische Geschichte Neueröffnung der Mittelalterausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte (10323)
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10323
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Sabine Wittkopf

Heller, freundlicher, uebersichtlicher und dennoch eine Fuelle verschenkter Chancen, so laesst sich die Neugestaltung der Mittelalterabteilung des Museums fuer Hamburgische Geschichte zusammenfassen. "Erlebnishaft in die Vergangenheit eintauchen", so charakterisiert Mueumsdirektor Professor Dr. J. Bracker die Umgestaltung. Ein Anspruch, an dem die Ausstellung im Folgenden gemessen werden soll.

Tatsaechlich ist die Mittelalterabteilung nicht wiederzuerkennen: dort, wo frueher dunkle, braune Vitrinen und einzelne Texttafeln den Raum praegten, ueberzeugt jetzt eine klare helle Raumgestaltung, farblich abgesetzte Waende heben einzelne Objekte hervor. Der Raum, zuvor eine Fuelle von Vitrinen bergend, wirkt strukturierter. Er gliedert sich jetzt in vier zum Teil durch Zwischenwaende getrennte Ausstellungsbereiche, die vier Etappen der Hamburgischen Geschichte beleuchten.

Im Zentrum, dem Eingang gegenueber und zentraler Blickfang, der Nachbau des Laderaumes einer Kogge, typisch fuer den Hamburger Seehandel des 13. und 14.Jahrhunderts. Schwer, als massiver Holzbau oeffnet sich der Bauch dieses "Lastesels" der Hanse vor dem Besucher. Faesser, zur Begeisterung vor allem der Kinder mit "echten" Waren gefuellt, tuermen sich auf und laden zu Entdeckungen ein. Baenke in den Seiten der Kogge geben Raum zum ausruhen, betrachten, erzaehlen - gleichzeitig gewaehren Luken in den "Aussenwaenden" der Kogge einen Blick auf die Stadt Hamburg im 14.Jahrhundert. Auf der anderen Seite sozusagen die Schattenseite der Hanse: gepfaehlte Piratenkoepfe, Waffen Brustharnische.

Bei aller Kraft der Inszenierung zeigt sich hier schon ein grundsaetzliches Manko der Ausstellung: die Beziehung zwischen Objekt und Text, ihre historische Einordnung und Erlaeuterung. So beinhaltet das ausliegende Erlaeuterungsheft (statt Beschriftungen finden sich in der Kogge Erlaeuterungshefte) zum "Waffenfenster" zwar technische Details und waffengeschichtliche Hinweise, aber keine Texte zur Funktion der Bewaffneten fuer die Stadt. Die Bedrohungssituation einer reichen Handelsstadt, die Hintergruende der Piraterie oder Kosten und soziale Folgen der Bewaffnung: solche Themen spielen keine Rolle.

Spricht die zentrale Installation der "Kogge" noch weitgehend fuer sich, wird die Diskrepanz zwischen den Objekten und dem fuer den Besucher zugaenglichen Informationsgehalt in den anderen Bereichen immer groesser. Informationen, historische Hintergruende, Bezuege werden zunehmend allein durch Texttafeln geliefert. Diese sind leider sehr schlecht lesbar, nicht nur, dass die Schriften insgesamt sehr klein gewaehlt wurden, es fehlen gliedernde Elemente, und hervorgehobene Zentralbegriffe. Die Bezuege zu den konkreten Objekten werden haeufig erst am Ende langer Textpassagen hergestellt. Die gesamte Textgestaltung bleibt weit hinter der Ausstellungsgestaltung und dem oben formulierten Anspruch zurueck. Auch die Sprache erleichtert nicht gerade den Zugang, Formulierungen, wie "differenzierte, dezentrale Sakraltopographie" sind leider keine Seltenheit. Die Kritik an der Textgestaltung waere zu vernachlaessigen, wenn nicht die inhaltliche Vermittlung in der Ausstellung in erster Linie darauf beruhen wuerde.

Doch zurueck zum Aufbau der Abteilungen: Um die Kogge ergibt sich ein chronolgischer Rundgang durch die Hamburger Geschichte in drei Etappen: -"Vom saechsischen Dorf zum befestigten Missions- und Handelsstuetzpunkt -"Das kirchliche Hamburg" (Schwerpunkt 12.-bis 14.Jahrhundert) -"Hamburg als Hansestadt" (Schwerpunkt 14. und 15.Jahrhundert) Leider findet sich in der Ausstellung kein Hinweis auf die Abfolge der Raeume, so dass sinnvolle Ordnungselemente beim Betrachten verloren gehen oder Informationstafeln von den Objekten getrennt werden, da von den Ausstellungsmachern eine andere Besuchsrichtung konzipiert war.

Das erste Kapitel bestimmen zwei Modelle der ersten Siedlungen, der "Hammaburg", die Hamburg den Namen gab und deren Nachfolgebauten im 11. und 12. Jahrhundert. Diese geben einen guten Einstieg, wenn auch, wie generell in der Ausstellung, eine bessere Lesbarkeit und eine groessere Legende im Hintergrund der Modelle wuenschenswert waere. Ergaenzt werden sie durch archaeologische Funde, die in Wandvitrinen thematisch geordnet praesentiert werden, so zu Handel und Handwerk im fruehen Mittelalter, aber auch zu Schmuck und Koerperpflege, Spiel und Hausarbeit. (Auf die Gestaltung der Wandvitrinen soll im 3.Teil der Ausstellung ausfuehrlicher eingegangen werden.)

Den Mittelteil der Ausstellung bildet "das kirchliche Hamburg", neben der Kogge eine besonders aufwendige Inszenierung. In neuem Rahmen werden hier die Ueberreste aus dem im 19.Jahrhundert abgerissenen Hamburger Dom praesentiert. Zu nennen sind eine Madonna aus Muensteraner Schule (15.Jahrhundert) und die Fragmente der "Toerichten Jungfrauen" aus dem Figurenzyklus des Domlettners. Einige Figuren werden nach aufwendiger Restauration nun zum ersten mal praesentiert. Die dunkelblaue Hintergrundgestaltung unterstuetzt die Wirkung der hellen Sandsteinarbeiten, gleichzeitig lassen sich die Reste der urspruenglichen Bemalung erkennen und geben den Figuren einen besonderen Charme. Atmosphaerisch mit Sicherheit der schoenste Teil der Ausstellung. Aber auch hier gelingt die Kommunikation zwischen Text und Objekt nicht. Die Texttafeln bleiben kaum lesbar, die Objekte werden zu schoen praesentierten, kostbaren Einzelstuecken. Ein Bild des religioesen Lebens in der Stadt Hamburg entsteht nicht. Auch das Modell des Hamburger Doms, das nicht nur Baugeschichte vermitteln koennte, sondern durch seine Einbettung in die ihn umgebende Stadt auch Rueckschluesse auf die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen geben koennte, geht in der Vielzahl der Modelle unter. Der Bezug zu den ihn umgebenden Originalen wird nur nach muehsamer Lektuere deutlich.

Im dritten Teil der Ausstellung "Hamburg als Hansestadt" bestimmen erneut Modelle den Raum: Getreide - und Gewerbemuehlen, Brauereien und Wasserkuenste aufwendig gestaltet nebst Wasserstrassen, Lastkaehnen und Fuhrwerken. Die Beschriftung ist hier direkt auf den Vitrinen angebracht. Bei den laengeren Passagen ist dies kaum noch lesbar, so dass die Hintergrundinformationen, so zur Bedeutung des Brauereigewerbes von den wenigsten Besuchern wahrgenommen werden. An den Waenden finden sich auch hier Vitrinen zu sozialgeschichtlichen Themen: - Spiel und Freizeit - Haushalt und haeusliche Produktion - Kammacherwerkstatt - Produkte eines Schmiedes - Holzhandwerk - Eine Schuhmacherwerkstatt.

Auf die Gestaltung dieser Vitrinen sei hier ausfuehrlicher eingegangen als ein weiteres Beispiel fuer das Grundproblem dieser Ausstellung, der mangelnden Verzahnung von Objektpraesentation und Textinformation. Jede dieser Vitrinen/Wandtafeln folgt einer Dreigliederung: oben Text, darunter Bildreproduktionen und in der Vitrine liegend die Objekte. Die Zuordnung von Text und Objekt erfolgt ueber die klassischen Nummernsysteme musealer Ausstellungssysteme. Fuer den Besucher ein muehsamer Weg, der gleichzeitig die Objekte isoliert. Wirft der Betrachter nur einen schnellen Blick in die Vitrine bleiben sie "tote Gegenstaende", obwohl auch mit dem vorhandenen Material eine "spannendere" und informativere Darstellung moeglich waere. So erklaert ein Bild der Schlittschuhlaeufer neben dem ausgestellten "Schlittenknochen" schnell und mehr, als die Suche nach Nummer und Text. Nicht zuletzt koennten "mutigere" Texte der Ausstellung nicht Schaden.

Die Besucher der Ausstellung wollen mehr erfahren, ueber das Leben der Menschen vor mehr als fuenfhundert Jahren. Doch diese verschwinden in den Texten der Ausstellung hinter technischen Details oder Fachbegriffen. Selbst ein so spektakulaerer und ausstellungsfreundlicher Fund, wie die Abfallgrube einer Schuhmacherwerkstatt (gefunden bereits 1926 bei St.Petri) voller mittelalterlicher Schuh(reste) geht so in der Praesentation unter und verliert ihre Aussage- und Anziehungskraft.

Sicher war es fuer ein Haus, wie das Museum fuer Hamburgische Geschichte ein mutiger Schritt diese ganze Abteilung neu zu gestalten, inszenierte Raeume statt Vitrinen zu schaffen. Leider fehlte der Mut bei der inhaltlichen Umsetzung. Statt eine Beziehung zwischen den Objekten zu schaffen, eine Kommunikation zwischen den Objekten zuzulassen, wurde zur Inhaltsvermittlung traditionell auf die Vermittlung durch Texttafeln gesetzt. Schlechte textliche Gestaltung und mangelnde Lesbarkeit wirken sich fatal aus, den Besuchern fehlen die Hintergrundinformationen, um die Objekte sprechen zu lassen. Die Objekte selbst sind schnell betrachtet, die meisten Besucher durchqueren in raschem Rundgang den Raum, die Objekte bleiben fremd, die Bezugspunkte sind noch zu gering um sich auf diese Zeitreise einzulassen.

Trotz einer guten Objektauswahl gelingt es so nicht die Objekte ihre Geschichten erzaehlen zu lassen: Geschichten vom Leben in einer Stadt im Mittelalter, vom Alltag der Menschen, vom Schuhmacher und seinen Kunden, den Maerkten und der Schuhmode und nicht zuletzt von den Strassenverhaeltnissen, mit den sie zu kaempfen hatten. Oder von den Spielen der Kinder, von den Haeusern und Wohnungen. Es bleibt unverstaendlich warum z. Bsp. die einmaligen Illustrationen des Stadtrechts von 1497, die zahlreiche Bilder zum Alltag der Stadt, zu Kleidung, Wohnungen, Handel und Hafen liefern, nicht staerker einbezogen wurden. Statt dessen finden sich schematische Schautafeln zur Ratsverfassung, die sehr an die Geschichtsbuecher der 80er erinnern. Bei dem Bemuehen trotz Erlebniselementen den wissenschaftlichen Anspruechen gerecht zu werden, fuehrt ein zuviel an schlecht gestalteten Texten zum Gegenteil: zu wenig Information erreicht den Besucher. Das Verstaendnis dieser Objekte erfordert aber Information, erst durch sie kann das Interesse geweckt werden, koennen Fragen formuliert werden. Die historischen Zusammenhaenge der Objekte werden hier nur durch Fuehrungen deutlich. Dabei erfaehrt das Mittelalter in Hamburg zur Zeit ein grosses Interesse, nicht zuletzt angeregt durch die grosse Ausstellung "Goldgrund und Himmelslicht" in der Hamburger Kunsthalle (19.11.99-5.3.00). Auch die neu gestaltete Abteilung des Museums fuer Hamburgische Geschichte erfreut sich grossen Besucherinteresses. In einer Stadt, in der die Spuren des Mittelalters aus dem alltaeglichen Stadtbild fast gaenzlich verschwunden sind, muessen allerdings klarere Bruecken fuer den Besucher in die Vergangenheit gebaut werden als es hier geschehen ist. Ein guter Anfang mit schoen ausgewaehlten Objekten, jetzt gilt es ihnen den Rahmen zu geben, damit sie auch sprechen koennen und das "Eintauchen in Geschichte" wirklich moeglich wird.

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